Sehhilfen und Hörsysteme

Errungenschaften für Millionen

Von Nadine Effert · 2021

Der Sehsinn liefert rund 85 Prozent aller Eindrücke aus unserer Umgebung. Das Gehör ist rund um die Uhr auf Empfang. Gesunde Augen und funktionierende Ohren sind enorm wichtig für uns Menschen – und somit auch die Entwicklung immer besserer Sehhilfen und Hörsysteme. Im Fokus der Forscher: Technik und Gene.

Hand hält einen DNA Strang. Thema: Sehhilfen und Hörsysteme
In Zukunft sollen genetisch bedingte Augenkrankheiten mittels Gentherapie geheilt werden. Foto: iStock / Natali_Mis

Ob Brille, Kontaktlinse oder Hörgerät – wenn der Fachmann oder die Fachfrau zu einer Seh- oder Hörhilfe rät, ist die Freude bei den Betroffenen erst einmal nicht groß. Schließlich ist damit ein Verlust des Seh- oder Hörvermögens offiziell attestiert. Doch es gibt auch drei gute Nachrichten: 1. Es ist ganz normal, dass Sehschärfe und Hörvermögen im Laufe des Lebens abnehmen. 2. Wer schlecht sieht oder hört, ist damit nicht allein: Laut Schätzungen sind in Deutschland rund 50 Millionen Menschen fehlsichtig. Rund 16 Millionen hören nicht gut, darunter etwa 5,4 Millionen mit einer indizierten Schwerhörigkeit. 3. Wer frühzeitig etwas gegen die Beeinträchtigung tut, kann in vielen Fällen den Verlauf verlangsamen – und grundsätzlich besser und sicherer leben.

Sehhilfen und Hörsysteme für eine sichere Teilhabe

Gut sehen und hören zu können, ist im Alltag wichtig. Wessen Seh- und Hörvermögen gut funktioniert, dem fällt es einfacher, soziale Kontakte zu pflegen und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Hinzu kommt der Aspekt der Sicherheit – vor allem im Straßenverkehr. Um als Verkehrsteilnehmer sicher unterwegs zu sein, ist nicht nur gutes Sehen, sondern gutes Hören mit beiden Ohren wichtig. „Jedem Verkehrsteilnehmer ist gut geraten, einen qualifizierten Hörtest beim örtlichen Hörakustiker oder beim HNO-Arzt zu machen“, sagt Hörakustiker-Meisterin Marianne Frickel, Präsidentin der biha – Bundesgesinnung der Hörakustiker. „Ein Hörtest beim Hörakustiker ist in der Regel kostenlos und dauert nicht lange. Dafür weiß man hinterher, ob das Gehör einwandfrei funktioniert oder ob Unterstützung in Form eines Hörsystems sinnvoll wäre.“

Folgen vermeiden

Ein Hörsystem, heutzutage High-Tech-Wunder im Miniformat, ist bei Bedarf aber nicht nur zum Zweck der Sicherheit sinnvoll. Denn das Verdrängen einer Schwerhörigkeit kann weitreichende Folgen haben: Nicht nur, dass der Hörverlust schneller voranschreitet, es kann zu einem beschleunigten Abbau der intellektuellen Leistungsfähigkeit und sogar einem erhöhten Risiko für Altersdemenz und Altersdepression kommen. Frühzeitig gegensteuern ist das A und O. Ist das Hörvermögen sehr stark eingeschränkt oder komplett verloren gegangen, kann ein sogenanntes elektrisches Cochlea-Implantat, also eine Prothese in der Hörschnecke des Innenohrs (Cochlea), helfen.

Mit Licht hören

Forscher der Universitätsmedizin Göttingen und der Universität Freiburg tüfteln aktuell an einem optischen Cochlea-Implantat. Noch steckt das Ganze in den Kinderschuhen, jedoch dienen bereits gewonnene Daten aus Studien zur genauen Anatomie der Cochlea für eine Modellierung der Ausbreitung des Lichts in der Hörschnecke. „Unsere Simulationen weisen auf eine räumlich begrenzte optogenetische Anregung der Hörnervenzellen und damit eine höhere Frequenzselektivität hin als bei der bisherigen elektrischen Stimulation. Nach diesen Berechnungen führen optische Cochlea-Implantate zu einer deutlich verbesserten Hörwahrnehmung, welche Sprache, aber auch Musik einschließen dürfte“, resümiert Tobias Moser, Direktor des Instituts für Auditorische Neurowissenschaften in Göttingen. Ab 2025 sollen für dieses Implantat erste klinische Studien am Menschen folgen.

Chip fürs Auge

Aber auch schwer sehbeeinträchtigte und blinde Menschen profitieren von den Fortschritten der Medizin und der Technik. Beispiel: „epiretinaler Augenchip“. Hinter diesem Fachausdruck verbirgt sich eine Art bionisches Auge, das Blinden das Augenlicht zurückgeben soll. Dabei sendet eine Spezialbrille mit einer eingebauten Videokamera Bilder an einen Chip, der auf der Netzhaut angebracht ist. Dieser Chip wiederum regt die noch gesunden Nervenzellen der inneren Netzhaut an. Auch wenn das komplette Sehvermögen nicht wiedererlangt werden kann, ist die Erfindung des bionischen Auges eine enorme Erleichterung für die Betroffenen.

Gentherapie für Blinde

Forscher am Institut für Molekulare und Klinische Ophthalmologie Basel (IOB) wollen mithilfe der Gentherapie Blinden das Sehen wieder ermöglichen. Bei einem großen Teil von erblichen Netzhauterkrankungen verlieren die Zapfen ihre natürliche Fähigkeit, Licht zu absorbieren und in ein Signal umzuwandeln. Die Forscher haben herausgefunden, dass bei 15 bis 20 Prozent der erblindeten Patienten die Zapfen nicht abgestorben, sondern sich teils in einer Art Tiefschlaf befinden. „Wir arbeiten daran, diese Lichtrezeptoren zu reaktivieren und so die Erblindung rückgängig zu machen“, sagt Hendrik Scholl, Leiter der Forschungsarbeiten. Erste Tests bei blinden Mäusen seien vielversprechend: Injektionen von lichtsensitiven Proteinen hätten bei den Nagern die Datenübertragung der Netzhaut zum Gehirn wieder reaktiviert. In etwa drei Jahren wolle man mit klinischen Studien starten.

Die häufigsten Fehlsichtigkeiten

Myopie (Kurzsichtigkeit): etwa 25 Prozent der Bevölkerung
Nachtmyopie: etwa 14 Prozent
Hyperopie (Übersichtigkeit): etwa 35 Prozent der unter 60-Jährigen
Astigmatismus (Stabsichtigkeit): etwa 20 Prozent aller Myopen und Hyperopen
Presbyopie (Altersweitsichtigkeit): im höheren Alter mit 95 Prozent die häufigste Fehlsichtigkeit

Quellen: BVA Berufsverband der Augenärzte, www.augeninfo.de, www.hno-aerzte-im-netz.de/krankheiten/schwerhoerigkeit/stadien-der-schwerhoerigkeit.html, Aufruf: 04.05.2021

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